Katastrophenschutz: Wie gut sind Hilfsorganisationen auf den Ernstfall vorbereitet?

Bei der ersten großen Katastrophenschutzübung seit zwei Jahren haben die Malteser gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen, der Feuerwehr und der Polizei für den Ernstfall trainiert.
Das Szenario: 70 Menschen sind nach dem Einsturz einer Tribüne in einer Veranstaltungshalle bei einem Konzert schwer verletzt worden.
Eine Verletztendarstellerin wird von Rettungssanitäterin Daniela behandelt und beruhigt.
Für Einsatzsanitäterin Talessa und viele andere ist es die erste Katastrophenschuztübung.
Aufgabe der Malteser war es auch, am Übungstag, innerhalb von 45 Minuten einen sogenannten „Behandlungsplatz 25“ aufzubauen.
In einem von drei großen Zelten können stündlich bis zu 25 Menschen behandelt werden. Fotos: Malteser Berlin

Berlin. In einer großen Konzerthalle, in der das Publikum wenige Minuten zuvor noch dicht an dicht gedrängt vor der Bühne ausgelassen feierte, bietet sich nun ein Bild des Grauens: Verletzte Frauen und Männer liegen auf dem Boden. Einige schreien um Hilfe, andere stöhnen vor Schmerzen und wieder andere liegen regungslos da. Einer der Helfer kniet sich zu einer blonden Frau und beruhigt sie. Sie hat tiefe, blutende Wunden am Bein, an der Hand und im Gesicht. Die Frau stand unmittelbar vor der Tribüne, als diese einstürzte, erzählt sie ihrem Retter.  

Zum Glück handelt es sich um eine fiktive Situation, die Verletzten auf dem Boden sind Darsteller, die mit täuschend echten Wunden geschminkt wurden, bevor sie in ihre Rolle schlüpften. Am Samstag, 8. Oktober, ging es für die Helferinnen und Helfer der Malteser und der vier anderen Berliner Hilfsorganisationen zur Sache. Erstmals nach zwei Jahren Pandemie gab es wieder eine Übung in dieser Größenordnung. Auf dem Gelände der Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienst-Akademie wurde eine sogenannte Großschadenslage nachgespielt.

Die Katastrophe: Tribüneneinsturz bei einem Konzert in Berlin

Das Szenario: 70 Menschen sind nach dem Einsturz einer Tribüne in einer Veranstaltungshalle bei einem Konzert schwer verletzt worden. Die fünf großen Hilfsorganisationen der Hauptstadt wurden alarmiert, weil alle Rettungskräfte der Feuerwehr parallel bei einer anderen Großschadenslage gefordert sind. Aufgabe der Hilfsorganisationen ist es, nach einer ersten Einschätzung der Lage vor Ort durch die Feuerwehr, zu übernehmen. Anschließend sollen sie sich einen Überblick über den Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten verschaffen, um sie medizinisch zu versorgen.

Aufgabe der Malteser wird es an diesem Tag sein, innerhalb von 45 Minuten einen sogenannten „Behandlungsplatz 25“ aufzubauen, also drei große Zelte, in denen stündlich bis zu 25 Menschen behandelt werden können, ein mobiler, temporärer Behandlungsplatz, der als eine Art Mini-Krankenhaus fungiert. Während der Übung wird den Einsatzkräften von sogenannten Übungsbeobachtern genaustens auf die Finger geschaut.

„Das Pflasterkleben und Versorgen von Wunden haben wir tausendmal getestet. Heute prüfen wir, ob die Patienten ordnungsgemäß registriert wurden und wie das Zusammenspiel mit den anderen Hilfsorganisationen, der Feuerwehr und der Polizei funktioniert“, erklärt Felix Tietze, der die Übung gemeinsam mit seinem Kollegen Lucas Stachetzki für die Malteser leitet.

35 Malteser sind bei der Übung dabei

35 Malteser sind an diesem Tag bereits seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen, warteten bis zur Alarmierung in ihren Gliederungen Nord, Süd und West auf ihren Einsatz. Am Unfallort angekommen, wissen viele immer noch nicht, welches Szenario sie erwartet. Amoklauf? Busunglück? Terroranschlag? Auch Übungsteilnehmerin Talessa rätselt noch: „Alles wäre krass, ich bin gespannt, was passiert“, sagt die 19-Jährige, die heute als ehrenamtliche Einsatzsanitäterin ihre allererste Katastrophenschutzübung hat.

Eine Stunde später ist Talessa bereits mittendrin im Geschehen, trägt eine Metallkiste mit medizinischen Utensilien in die bereits aufgebauten Zelte. Drinnen lässt sich Patient Nummer 70 von Rettungssanitäterin Daniela behandeln. Er hat eine Wunde am Arm. „Du bist Tom? Standest Du vor der Bühne?“, fragt sie. Der junge Mann nickt. „Mein Kollege kommt gleich zu Dir und misst Blutdruck.“ Am Zelteingang steht Patientin Nummer 68, die Augen weit aufgerissen. Ihre Rolle spielt sie perfekt. Die Übungsleiter haben ihr und den anderen Patienten zuvor einen Zettel zugesteckt mit einem Text, den sie sich einprägen musste und der für die Sanitäterinnen und -sanitäter streng geheim ist: „Du hast eine Verletzung wegen derer du nicht getragen werden musst, stehst aber so unter Schock, dass Du nicht sprechen kannst. Du äußerst Dich erst, als Du etwas aufschreiben darfst.“ Rettungssanitäterin Daniela begrüßt die junge Frau mit sanfter Stimme: „Du hast eine große Kopfplatzwunde, die muss versorgt werden. Magst Du einmal mit mir mitkommen zur Trage?“

Für viele ist es die allererste Katastrophenschutzübung

Draußen vor dem Zelt steht Fabian Fröhling, Leiter der Notfallvorsorge, und macht sich Notizen. Sein Job ist heute die Beobachterrolle. Er und seine Kolleginnen und Kollegen, werden später gemeinsam bewerten, wie die Katastrophenschutzübung aus Sicht der Rettungsprofis lief und wie die Einsatzkräfte der Gliederungen zusammengearbeitet haben. Ob die Malteser gut auf den Ernstfall vorbereitet sind? „Das ein oder andere muss wieder mehr trainiert werden, aber unsere Helfenden schlagen sich wirklich gut. Es ist schön zu sehen, dass sie so bei der Sache sind, denn man darf nicht vergessen: Sie machen das ehrenamtlich und in ihrer Freizeit“, sagt er. Nach zwei Jahren, in denen es während der Pandemiemonate keine vergleichbar große Übung gab, ist es für viele sogar die erste Katastrophenschutzübung.

Vielleicht auch deshalb ist eine Einsatzsanitäterin überrascht, als nach vier Stunden plötzlich um 14.16 Uhr die Durchsage durch den Lautsprecher kommt, dass die Übung beendet ist. „Jetzt haben wir gerade erst aufgebaut und schon ist alles wieder vorbei“, sagt sie. Übungsbeobachter Fabian Fröhling ist stolz auf das, was seine Kolleginnen an diesem Tag alles geleistet haben: Mehrere dutzend Patientinnen und Patienten wurden in den Kommandowagen angesehen, registriert und durch die Einsatzsanitäterinnen und -sanitäter behandelt, auch ihre Weiterverlegung in naheliegende Krankenhäuser wurde – sofern notwendig – veranlasst. „Unsere Einheiten haben heute gezeigt, was sie können und dass sie ein tolles Team sind“, sagt Fröhling. Doch mit dem Übungsende ist der Tag für die Helferinnen und Helfer längst nicht vorbei: Zelte müssen noch abgebaut, Materialien verstaut und Fahrzeuge zurück in die Hallen gebracht werden. Ein langer Einsatztag endet nach zwölf Stunden. Einen kleinen Umtrunk haben sich anschließend alle verdient.  

Info: Wer Lust hat auf ein Ehrenamt mit viel Abwechslung, kann sich bei den Maltesern als Einsatzsanitäterin und Einsatzsanitäter engagieren. Infos gibt es hier auf der Homepage der Malteser.